Tebels Analyse ¦ Kurdische Milizen schließen sich Assads Regierungsarmee an

Der Plan war präzise ausgetüftelt. Nach Angriffen auf Verbindungswege der syrischen Kurden in den Irak, begann die türkische Armee einen Zangenangriff auf Tall Abyad und Ras al-Ain. Dort, wo die arabische Bevölkerung im Kurdengebiet eine Mehrheit stellt, erwarteten die türkischen Strategen einen geringeren Widerstand.

In diesem etwa 120 km breiten Abschnitt zwischen den beiden Grenzstädten sollten die türkischen Truppen in einem Sichelschnitt bis zur wichtigen Autobahn M4 vorstoßen und damit die Verbindungswege der Kurden auch in diesem Abschnitt unterbinden. In einer zweiten Phase würde die starke türkische Armee die wichtigsten kurdischen Gebiete hernach separat angreifen.

Bis zum Sonntag, den 5. Tag der Operation „Peace Spring“ waren die Erfolge der türkischen Armee und ihrer dschihadistischen Verbündeten atemberaubend: Die kurdischen Milizen, vom Abzug der US-Streitkräfte völlig überrumpelt und nicht auf eine alleinige Verteidigung vorbereitet, mussten den Verlust der Stadtzentren von Tall Abyad und Ras al-Ain sowie von 56 Dörfern hinnehmen.

Luftangriffe auf die beiden Städte und die Zerstörung der Wasserversorgung von Hasaka trat zudem eine Flüchtlingswelle los und der versehentliche türkische Beschuss von US-Special Forces am Freitag führte am Sonntag zur Evakuierung der US-Streitkräfte aus Kobane, Ain Issa und Malikiyah.

In einem Interview mit dem Sender CBS musste der US-Verteidigungsminister Mark Esper am Sonntag sogar zugeben, dass die türkische Offensive „weiter südlich und weiter westlich (…) als ursprünglich geplant“ fortgesetzt werde.

Einzig erste Berichte von Hinrichtungen durch die pro türkische „Syrische Nationalarmee“ und die Ermordung der kurdischen Politikerin Hevrin Khalaf, nebst Ausbrüchen aus den IS-Gefängnissen in Ain Issa und Qamischli, trübte das Gesamtbild in der öffentlichen Wahrnehmung.

Doch nun scheint es ganz anders zu kommen: In einer Blitzeinigung zwischen der hoffnungslos unterlegenen kurdischen SDF und Assads Regierung, besetzt die Syrische Arabische Armee (SAA) seit den Nachtstunden Mambij und Hasaka. Laut der syrischen Nachrichtenagentur steht die syrische Armee nun auch 32 Kilometer südlich der türkischen Stadt Ceylanpinar.

Damit sind Assad nun die reichen Ölquellen südlich der Provinzhauptstadt Hasaka zugefallen und anscheinend Erdogans Plan durchkreuzt, seine 480 Kilometer lange und 30 bis 40 Kilometer tiefe „Sicherheitszone“ zu verwirklichen.

Allerdings birgt die aktuelle Entwicklung extreme Gefahren, stehen nun bald syrische Soldaten und türkische Einheiten in einem Gebiet gegenüber, das beide für sich beanspruchen. Erdogan könnte seinen Plan daher weiter verfolgen und den Kampf gegen die ausgedünnte syrische Armee suchen.

Sollten sich die Erfolgsaussichten des türkischen Präsidenten förmlich in Luft auflösen, könnte Erdogan seine angedrohte Flüchtlingswelle nach Europa entfachen.

Auch wird sich Erdogan an Russland reiben. Denn durch Erdogan konnte Putin die USA aus Syrien verdrängen. Zudem verlegte Ankara 18 000 Mann der Syrische Nationalarmee aus Idlib ins Kurdengebiet. Und von dort werden seit gestern wieder Luftangriffe der russischen Luftwaffe auf Stellungen der Dschihadistenmilizen gemeldet.