Tebels Analyse ¦ „GASRAUSCH“ IM ÖSTLICHEN MITTELMEER

Tebel-Report | geostrategische Notizen

Es ist erst zehn Jahre her, seit im östlichen Mittelmeer Noble Energy etwa 90 Kilometer westlich von Haifa in etwa 1 700 Meerestiefe und knapp 5 000 Meter Bohrtiefe auf ein Gasfeld stieß, das Tamar benannt wurde. Die Entdeckung löste einen wahren „Gasrausch“ aus. Vor Israels Küste wurden knapp darauf Gasfelder wie Dalit (2009), Leviathan (2011, zu diesem Zeitpunkt das größte im Mittelmeer aufgespürte Gasfeld) und Karish (2013) entdeckt, die nun im Begriff sind, Israel zu einem Energieexporteur zu wandeln.

Damalige Schätzungen sprachen davon, dass der östliche Mittelmeerraum möglicherweise die drittgrößten Gasressourcen in der Welt in einer Größenordnung von 3 500 Mrd. Kubikmeter beherbergen könnten und spornten auch andere Anliegerstaaten zu Bohrungen an: So wurde Noble Energy auch vor Zypern im Aphrodite Gasfeld (2011) und EXXONMobil mit Qatar Petroleum erst 2019 im Glaucus-Gasfeld fündig. Der italienische Konzern Eni, der in Ägypten bereits seit 1954 tätig ist, entdeckte vor vier Jahren etwa 190 Kilometer vor Port Saïd das Zohr-Gasfeld, einen „Supergiganten“ mit geschätzten 850 Mrd. Kubikmeter und momentan der größte Gasfund im Mittelmeer. Hinzu kommen vor Ägyptens Nildelta zahlreiche kleinere Gasfelder und letzte Entdeckungen wie das Nour Gasfeld (2019).

Ägypten könnte alleine durch die Ausbeutung des Zohr-Gasfeldes den eigenen Gasverbrauch siebzehn Jahre lang decken. Ein – von Eni – prognostizierter steigender Gasbedarf in Europa um 50 Prozent bis 2030 brächte Ägypten möglicherweise sogar in die Lage, Exportgewinne zu lukrieren. Dies auch, weil Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer für die EU höchst interessant ist: Als „Brückentechnologie“ gilt sie momentan als umweltschonender als Kohle oder Öl und böte zudem eine ernsthafte Alternative, um den Import russischen Erdgases zu reduzieren. Für die EU sind die Gasfelder der Levante somit auch energiepolitisch von strategischer Bedeutung. Eine Bedingung dafür, dass sich die Förderung als rentabel erweisen kann, liegt aber in der regionalen politischen Stabilität.

Und genau hier muss einem Wilhelm Buschs Ausspruch unwillkürlich in den Sinn geraten: »Fortuna lächelt; doch sie mag nur ungern voll beglücken; schenkt sie uns einen Sommertag, schenkt sie uns auch Mücken«.

Denn das östliche Mittelmeer bietet alle Ingredienzien, die ein geopolitisches Pulverfass benötigt: unklare Seegrenzen – verfeindete Nachbarstaaten – internationale Verschränkungen – ehrgeizige Machtpläne – hohe Gewinnaussichten.

Unklare Seegrenzen:

Das Hauptproblem bilden die Seegrenzen der Anliegerstaaten, die üblicherweise in bilateralen Verträgen festgelegt werden, so die Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (UNCLOS III) nicht greifen. Das Übereinkommen, 1982 im jamaikanischen Montego Bay beschlossen und 1994 in Kraft getreten, definiert eine Basislinie entlang der Küste eines Staates. Nach dieser Basislinie richtet sich die 12-Seemeilen-Zone, die Hoheitsgewässer eines Staates. UNCLOS III kennt zudem eine sogenannte „ausschließliche Wirtschaftszone“ (AWZ), die bis zu 200 Meilen in das offene Meer reichen kann und es dem Staat ermöglicht, diese wirtschaftlich zu nutzen. Nur auf den Meeresboden und den Untergrund bezieht sich der sogenannte „Festlandsockel“, in dessen Bereich ein Staat natürliche Ressourcen fördern darf.

Für das östliche Mittelmeer, dessen Küsten oft näher als 400 Seemeilen von einander entfernt sind, ist diese Regelung nicht immer hilfreich – besonders wenn die Nachbarstaaten untereinander verfeindet sind: So existiert nur eine vertragliche Seegrenze zwischen Zypern und Israel, bzw. zwischen Ägypten und Zypern. Israel und der Libanon besitzen unterschiedliche Vorstellungen von der Ausdehnung ihrer „ausschließlichen Wirtschaftszone“, weshalb beide Staaten Ansprüche auf ein 850 km² großes Seeareal erheben.

Die gefährlichste Situation ergibt sich aber durch den Zypern-Konflikt. Seit 1974 in einen südlichen griechischen und einen nördlichen türkischen Teil geteilt, wird Nordzypern, das sich 1983 für unabhängig erklärte, nur von der Türkei anerkannt. Südzypern ist als Republik Zypern der international anerkannte Vertreter für ganz Zypern und Teil der EU. In dieser Position teilte die Regierung in Nikosia ihre „ausschließliche Wirtschaftszone“ südlich des Inselstaates in dreizehn Blöcke ein, für die internationale Energieunternehmen Bohrkonzessionen erwerben konnten. Dies wird von der Türkei als illegal betrachtet, zumal dem türkischen Zypern keine feste Beteiligung am Gewinn zugedacht ist und die Türkei überdies – dem Seerechtsübereinkommen nicht beigetreten – eigene Rechtsvorstellungen besitzt, aber dennoch auch den Festlandssockel ins Spiel bringt. Neben wiederkehrenden türkischen Drohungen zeigen zwei Begebenheiten deutlich auf, wie fragil sich die Situation um Zypern darstellt. So versuchten türkische Kriegsschiffe im Sommer 2017 ein gechartertes Bohrschiff des französischen Energiekonzerns Total an einer Probebohrung in Block 11 zu hindern – allerdings wurde das Schiff von zwei französischen Fregatten begleitet und weiter südlich lagen bereits ein US-Flugzeugträgerverband und israelische Kriegsschiffe. 2018 konnte die Türkei allerdings das Bohrschiff „Saipem 12 000“ blockieren, das für Eni in Block 3 Probebohrungen durchführen sollte.

Der Transport

Ein weiteres Problem bildet der Weg des geförderten Gases in die EU. Hierfür stehen prinzipiell zwei Wege zur Verfügung. Der Transport auf Flüssiggastankern (LNG-Tankern) und durch Pipelines. Für den Schiffsweg wird das Erdgas auf minus 165 Grad heruntergekühlt und damit auf den sechshundertsten Teil komprimiert. Zwar sind die Transportkosten für Flüssiggas kostspieliger, allerdings dürfte Ägypten auf diese Lösung setzen. Auch griechische Reeder forcieren diese Technologie und wurde zudem im griechischen Revythoussa gerade der LNG-Terminal für verflüssigtes Erdgas erweitert. Eine zweite Möglichkeit zeichnet sich ebenso ab: Bei einem Gipfeltreffen in Tel Aviv schlossen Israel, Griechenland und Zypern im März 2019 ein Abkommen für den Bau einer spektakulären Pipeline, die Erdgasfelder im östlichen Mittelmeer mit Zypern, Kreta, dem griechischen Festland und Italien verbinden soll. Die Kosten werden mit 6 bis 7 Mrd. Euro veranschlagt; die knapp 2 000 Kilometer lange Pipeline soll 2025 betriebsbereit sein. Wenngleich Kritiker die Rentabilität der Pipeline wegen einer vielleicht zu geringen Fördermenge an Erdgas anzweifeln, so bildet die EastMed Pipeline in erster Linie auch eine geostrategische Entscheidung und wird eine türkische „Kanonenbootpolitik“ erschweren. Hierzu tragen ebenso die zahlreichen Bohrkonzessionen an Energiefirmen aus Italien, Frankreich, die USA, Israel und Russland bei, die einen Konflikt mit der Türkei rasch internationalisieren. Für Unruhe werden in diesem Jahr vermutlich aber dennoch türkische Probebohrungen in zypriotischen Gewässern und Drohgebärden Ankaras sorgen.