»Dunkle Wolken über Deutschland« | 35 Prozent der Deutschen sind der Auffassung, dass eine freie Meinungsäußerung in manchen Themen nur noch im privaten Kreis möglich ist

red. – Gleich mehrere Studien stellen der Meinungsfreiheit in Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus. Wenngleich das Recht auf freie Meinungsäußerung durch die Erfahrungen des NS-Regimes und der DDR in der Bevölkerung als ein besonders hohes Gut gilt, so zeigen Umfragen deutlich, dass in manchen Kreisen Deutschlands die Lehren aus der Vergangenheit allmählich vergessen werden.

„Natürlich kann man in Deutschland seine Meinung frei äußern. Man hat aber mit sozialen Folgekosten zu rechnen, die sehr hoch sein können.“

Politikwissenschaftler Werner Patzelt (66, CDU) in der Bild-Zeitung

Freie Meinungsäußerung mit starken Einschränkungen

Im Mai diesen Jahres sorgte in Deutschland eine Studie für Aufsehen: Das Institut für Demoskopie Allensbach fand im Auftrag der Frankfurter Allgemeine Zeitung (Bezahlartikel) in seiner Studie „Grenzen der Freiheit“ (1283 Befragte ab 16 Jahren) heraus, dass die Mehrheit der Befragten (59 Prozent) nur im Freundeskreis offen auszusprechen wagt, was sie denken, und in der Öffentlichkeit weniger als ein Fünftel (!!!) eine vergleichbare Freiheit findet, wie die welt berichtet. 78 Prozent der Befragten gaben zudem an, bei bestimmten Themen „vorsichtig“ zu sein. Die Studienautorin, Prof. Dr. Renate Köcher, schreibt aber auch: „Es gibt Positionen, die für die Identität einer Gesellschaft von besonderer Bedeutung sind, wie es Äußerungen gibt, die gegen grundlegende Werte einer Gesellschaft verstoßen. […] Daraus folgt jedoch auch, dass es Grenzen des Sagbaren geben muss, zum Beispiel dort, wo die Würde des Menschen massiv attackiert wird.“ Damit meint Prof. Köcher Verharmlosungen der NS-Zeit, die 76 Prozent der Befragten „als völlig inakzeptabel“ bewerteten. Dieses Verständnis fehlt den Befragten aber bei Themen der Zeit, die als „Tabuzonen“ zählen: Flüchtlinge, Patriotismus und Vaterlandsliebe (41 Prozent), Homosexualität, das dritte Geschlecht oder der Islam.

Diese Empfindung deckt sich auch mit einer Vorwahlumfragen, die infratest dimap im Auftrag der ARD Anfang September 2019 erhoben hat: Hier stimmen 64 Prozent der Brandenburger und gar 69 Prozent der Sachsen der Aussage zu, dass man bei bestimmten Themen ausgegrenzt werde. Auch in der im Oktober 2019 vorgestellten Shell-Jugendstudie, beklagen sich 68 Prozent der interviewten Jugendlichen (2572 Befragte, 12–25 Jahre), dass man beispielsweise nicht offen über Migrationsprobleme diskutieren könne. 53 Prozent denken obendrein, „die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit“, und 56 Prozent der Jugendlichen haben „Angst vor einer wachsenden Feindlichkeit zwischen Menschen, die unterschiedlicher Meinung sind“, wie die Shell-Studie vermerkt.

In den 90er Jahren und auch noch am Beginn des vergangenen Jahrzehnts wurden Patriotismus, Weltoffenheit und die Unterstützung für Europa nicht in einem Spannungsverhältnis gesehen. So war die CDU/CSU für die Bevölkerung gleichzeitig Europa- und Nationalpartei, eine politische Kraft, die sich für die europäische Integration einsetzte und sich zugleich mit der Nation identifizierte.

Allensbach-Studie „Grenzen der Freiheit“

„Political Correctness“ als Killer des demokratischen Diskurses

Eine wesentliche Schuld an diesem Stimmungsbild trägt anscheinend die „Political Correctness“, die 41 Prozent der Befragten in der Allensbach-Studie für übertrieben halten und die ideologische Identitätssprachregelungen oder nachträgliche Zensur befördert.

Wie stark die Gesellschaft bereits auseinanderdriftet belegt auch die Studie Die andere deutsche Teilung (4001 Befragte) der Initiative More in Common, die 30 Prozent der Bürger „eine große Distanz zum politischen System und ihren Mitmenschen“ attestiert, darunter fast die Hälfte der 18 bis 39-jährigen.

Pöbeln statt diskutieren

Einen Aspekt der Einschränkung der Meinungsfreiheit bildet das Stören von Reden Andersdenkender: Zwei Vorfälle in diesem Monat führten zu einer starken Medienresonanz und sogar zur Wortmeldung des wichtigen Repräsentanten des Staates: So wurde die Antrittsvorlesung des Universitätsprofessors und Mitbegründers der AfD, Bernd Lucke, an zwei verschiedenen Lehrveranstaltungstagen von Linksextremen gestört. Ähnlich erging es dem ehemaligen Innenminister Thomas De Maizière. Seine Lesung aus seinem Buch „Regieren“ musste durch Proteste aus der selben politischen Ecke auf dem Göttinger Literaturherbst abgebrochen werden, einem der größten Lese-Festivals in Europa.

Die Ereignisse in Göttingen und in der Hamburger Universität, veranlassten sogar den deutschen Bundespräsident zur Mahnung und zu einem Aufruf, Respekt für Andersdenkende zu wahren.

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