Alltag in Peking in Zeiten von Covid-19 : Ein Augenzeugenbericht

von Christoph Glatz

Die Zeit der „Coronakrise“ verbrachte ich in Peking. Von A bis Z. Ich war keiner von denen, die gleich ihre Zelte abbrachen, als der Outbreak in China ihren Expat-Lifestyle auf den Kopf stellte. Auch keiner von denen, die dann heimreisten, als ihre Außenminister sie mit dringlicher Stimme dazu aufriefen, während dort der Outbreak bereits in vollem Gange war.

„Dürft ihr schon hinaus?“ oder „Seid ihr noch eingesperrt?“ habe ich in den letzten paar Wochen gefühlt unzählige Male gehört und gelesen. Viele Verwandte und Freunde hatten wohl regelmäßig die Bilder aus Wuhan – dem eigentlichen Epizentrum – vor den Augen, wenn sie an mich dachten. Sie waren offenbar der festen Überzeugung, dass es in Peking genauso sein müsse. Und das, obwohl ich ihnen stets geschildert hatte, wie es hier tatsächlich ist. So viel zum zeitgenössischen „information overload“, den perzipierten „fake news“ und der unaufhaltsamen „Macht der Bilder“… Wie also war und ist es zur Zeit von Covid-19 in der Hauptstadt des Landes, in dem die Pandemie ihren Ausgang nahm?

Zuerst Pest, dann Coronavirus

Ende vergangenen Jahres machte die Meldung die Runde, dass die Pest ausgebrochen sei und man vorsichtig sein solle. „Die Pest, bist du sicher?!“, fragte ich ungläubig und man bestätigte es mir. In der Inneren Mongolei gibt es immer noch Nagetiere, welche den uralten Krankheitserreger in sich tragen. Nachdem ein Mann einen Wildhasen gefangen hatte, dürfte er sich während der Zubereitung oder des Verzehrs der Speise damit infiziert haben. Ein paar Dutzend Leute erkrankten ebenfalls daran. Wochen später brach in Wuhan eine weitere, noch unbekannte Krankheit aus, die an Sars erinnerte. Also in einer Metropole, die deutlich weiter von Peking entfernt liegt als die Pestfälle in der Inneren Mongolei. Über die South China Morning Post aus Hongkong war ich im Bilde. Die Behörden in Wuhan schienen sich intensiv um die Sache zu kümmern. Sie meinten allerdings, dass sämtliche Fälle mit einem lokalen Markt in Verbindung stehen dürften. So weit ich es in Erinnerung habe, wurde eine Übertragung von Mensch zu Mensch nicht ausgeschlossen, aber als nicht erwiesen angesehen. Einige Tage später hieß es dann plötzlich, die Situation sei gefährlich geworden. Einer meiner Schüler erzählte mir, seine Großmutter habe bereits einen ganzen Koffer voller Schutzmasken gekauft. Wir waren darüber leicht amüsiert. Doch die alte Frau, deren mehrstöckiges Haus zur Zeit der Kulturrevolution vom Staat konfisziert worden war, war einfach hellhöriger und vorsichtiger als viele andere. Sie sollte recht behalten.

Ausgänge plötzlich verriegelt

Obwohl man über die Medien immer mehr über das „neuartige Coronavirus“ erfuhr, war Wuhan Mitte Januar 2020 noch sehr weit weg. Beim Spazierengehen in meinem Wohnbezirk (mit mehreren Tausend Einwohnern) wunderte ich mich eines Tages allerdings. Eines der Tore in dem von einer Mauer umgebenen Areal war plötzlich verriegelt worden. Ich fragte mich kurz, ob ein Zusammenhang mit dem Virus bestand. Da unmittelbar außerhalb des Tores aber Bauarbeiten stattfanden und nur wenige Leute diesen Ausgang benutzten, verwarf ich diese Idee. Am nächsten Tag war ein weiteres Tor verriegelt. Es war eines von nur zweien, über die Autos in den Wohnbezirk gelangen konnten. Ich sah mir die anderen Tore an. Sie alle waren mit eisernen Ketten versehen und geschlossen worden. Nur ein einziges Tor war noch offen. Nun gab es keinen Zweifel mehr. Im Aufzug und an der Haustür informierten Aushänge über die Maßnahmen. Die Nachrichten überschlugen sich. Praktisch die gesamte Provinz Hubei mit 60 Millionen Menschen stand nun unter Quarantäne. In der ebenfalls stark betroffenen Provinz Zhejiang durften viele Bewohner nur mehr alle zwei Tage ihre Häuser verlassen, um einkaufen zu können. Über eine App, die mir ein Freund zuschickte, konnte ich die Fallzahlen in ganz China mitverfolgen. Sie stiegen auch in Peking steil an. Was, wenn bald auch das letzte Tor geschlossen würde? Ich rechnete damit, dass ähnliche Maßnahmen wie in Zhejiang erfolgen würden, wenn eine bestimmte Anzahl an bestätigten Fällen erreicht sein würde. Ich kaufte daher haltbare Lebensmittel. Falls der Wohnbezirk nämlich vollkommen abgeriegelt würde, würden die Bewohner den einzigen, kleinen Supermarkt innerhalb des Wohnbezirks wohl sehr rasch leerkaufen und es könnte ein paar Tage dauern, bis die Normalität wieder hergestellt war.

Zutrittskarte und Lieferstopps

Schnell, schrittweise und ohne erkennbare Aufregung wurden die Maßnahmen ausgedehnt. Schon standen fünf bis zehn Personen, offenbar Freiwillige, vor dem Tor und stoppten ausnahmslos alle Fahrzeuge und Fußgänger, die in den Wohnbezirk wollten. Allen wurde die Temperatur am Handgelenk gemessen. Bewohner erhielten eine Karte mit Stempel, die einem den wiederholten Zugang ermöglichte. Auch wenn die Freiwilligen einen Bewohner kannten, musste dieser jedes Mal die Karte vorweisen, um hinein zu dürfen. Das Verhalten der Freiwilligen ließ den großen Ernst der Lage erkennen. Anders als sonst sah man in dieser Zeit auch sonst keine gut gelaunten Leute oder Menschen, die viel miteinander redeten oder solche, die länger im öffentlichen Raum verweilten. Man erfuhr, dass die strengen Kontrollmaßnahmen dazu dienten, die Bewohner des Wohnbezirks zu schützen – und zwar vor anderen Leuten, die das Virus hereinschleppen könnten. Das schloss zwar nicht aus, dass Bewohner selbst das Virus von draußen mitbrachten, aber es stoppte den Verkehr sämtlicher Lieferanten und Postboten. Die Pakete wurden nun auf einem Parkplatz und später vor einem der stillgelegten Tore am Boden platziert und konnten von dort abgeholt werden. Bald waren Regale aufgestellt, weil der Umfang der Paketlieferungen zunehmend anstieg. Wer Speisen oder Getränke bestellte, musste sie ebenfalls bei den Toren abholen und konnte sie sich nicht an die Wohnungstür liefern lassen. Für Verdachtsfälle und zum Ausruhen für die Freiwilligen, die auch bei kalten Temperaturen permanent patrouillierten, wurde ein Zelt neben dem Eingang aufgestellt. Eine der ersten Maßnahmen, die ich selbst setzte, war auf das Lieferservice von Meituan Dianping, zu verzichten. Über diesen börsennotierten und hochentwickelten Lieferdienst hatte ich mir fast täglich Mittag- und Abendessen zustellen lassen. Das ersparte den langen Weg zu den Restaurants und eröffnete mir alle verfügbaren kulinarischen Richtungen. Über die Medien hatte man mittlerweile einiges über das „heimtückische Virus“ erfahren, das sich zum Beispiel tagelang auf Plastikoberflächen halten konnte – und wer garantierte, dass der Koch nicht auch schon krank war? Die fetten Zeiten waren vorbei. Ich sattelte auf Tiefkühlkost um und kochte selbst.

Masken werden unverzichtbar

Wer konnte, trug ab sofort Maske, aber Masken waren verdammt knapp. Die Apotheken hatten keine mehr, auch die Supermärkte nicht. Bei Alibaba konnte man welche bestellen, aber wann sie geliefert würden, war vollkommen unklar. Es konnte Wochen dauern, da die Nachfrage das Angebot bei weitem überstieg. Vor allem Mund-Nasen-Schutz war beliebt; wer den nicht hatte, trug Filtermasken. Dabei war gerade der Mund-Nasen-Schutz nicht in der Lage, die Viren zu filtern. Aber letztlich ging es wahrscheinlich weniger darum, dass man sich selbst schützte als dass Infizierte gesunde Menschen nicht infizieren würden. Es wurde Maskenpflicht im öffentlichen Raum verordnet. Wer keine Maske hatte, blieb also besser zu Hause. „Masken sind so wertvoll wie einst Gold“, las ich in der Zeitung. Diesbezüglich war in einer privilegierten Lage. Anders als die meisten Leute in China trug ich bei extrem hoher Feinstaubbelastung nämlich regelmäßig Filtermasken am Weg zur Arbeit und hatte einen Vorrat zu Hause. In der kalten Jahreszeit gibt es in Peking bei ungünstigen Luftverhältnissen nämlich Phasen von üblicherweise drei bis fünf Tagen Dauer, in denen die Luft gefährliche Verschmutzungsgrade erreicht. Zwei Winter mit kostenintensiven „Antibiotika-Kuren“ hatten mir bewiesen, dass man bei PM 2,5-Werten über 200 besser Maske trägt. Im Wohnbezirk und im Supermarkt bekannte ich ab nun aber täglich Maske. Viele Chinesen trugen zusätzlich zu den Masken Handschuhe oder Einweghandschuhe. Viele legten sich einen Desinfektionsspray zu, um Pakete und auch Verpackungen, die sie vom Supermarkt mit heim nahmen, zu desinfizieren. Man konnte nicht wissen, durch wie viele Hände das alles gegangen war und wie hoch die Dunkelziffer bei den Infektionen tatsächlich war. Das Motto war: Lieber auf Nummer sicher gehen als im Krankenhaus zu enden. Wie effektiv oder notwendig die einzelnen Maßnahmen tatsächlich waren, sei dahingestellt. Der Punkt ist, dass die Gesamtsituation kollektiv ernst genommen wurde und das alles schließlich für eine relative Effektivität sorgte. Ich selbst verwendete einen Ethanol-Spray Marke Eigenbau.

Keine Hamsterkäufe

Auch vor den Einkaufszentren und bald auch vor jedem größeren Supermarkt wurde den Kunden die Temperatur gemessen. In den Ferien zum chinesischen Neujahr gab es noch sehr wenige Kunden. Die Ferien wurden außerdem offiziell verlängert und die Leute angewiesen, vorerst in ihrer Heimat zu bleiben. Damit weniger Menschen in die Metropolen zurückreisten und das Virus dort möglicherweise verbreiteten, wurde der Personenverkehr massiv eingeschränkt. Geschätzt zwei Wochen lang schien es, dass die Versorgungswirtschaft auf einem ziemlich niedrigen Niveau stattfand und sogar ein wenig ins Stocken geriet. Das erkannte man daran, dass die Regale weniger voll als normalerweise waren und auch nicht laufend nachgefüllt wurden. Eines Tages gab es in meinem Supermarkt kaum noch Milch, Wurst, verpackten Tofu und andere haltbare Waren. Doch am nächsten Tag waren die Regale wieder gefüllt. Die Bevölkerung verhielt sich in bemerkenswertem Ausmaß diszipliniert. Von Hamsterkäufen war nichts zu sehen. Als ich später davon hörte, dass in Europa insbesondere Toilettenpapier gehamstert wurde, war das schon ein merkwürdiger Gegensatz. Schließlich gab es die ersten kleinen Wellen an Rückkehrern. Zu diesem Moment waren die Supermärkte schon wieder wesentlich besser ausgestattet. Die Kunden kauften nun erkennbar mehr als gewöhnlich ein, aber das hatte damit zu tun, dass sie einfach seltener die Wohnungen verließen, um die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zu minimieren. Der Supermarkt erschien als primäre Quelle einer potentiellen Infektion. Zwar kaufte der durchschnittliche Kunde insgesamt mehr, aber ich habe niemanden gesehen, der außergewöhnlich viel oder aber größere Mengen bestimmter Waren gekauft hätte.

Mehr Daten zur Kontrolle

Die Behörden waren zu dieser Zeit sehr besorgt wegen der erhöhten Rückreiseaktivität aus den Provinzen, die erforderlich war, um einen weiteren Einbruch der Wirtschaft zu verhindern. Das Einkaufszentrum in der Nähe forderte nun, Name, Adresse, Telefonnummer, Körpertemperatur und Besuchszeit jedes einzelnen Besuchers in einer Tabelle einzutragen. Falls man sich zur selben Zeit dort aufgehalten hatte wie jemand, der infiziert war, würde man nachträglich benachrichtigt und untersucht werden. Als die Situation in China schließlich bereits unter Kontrolle schien, erfolgte die letzte Ausbaustufe. Die herkömmliche Karte für den Wohnbezirk wurde nämlich nicht mehr anerkannt und man hatte sich zu registrieren. Mit einem Identitätsnachweis und dem Meldezettel – also Daten, welche der Polizei und dem Staat bereits bekannt waren – kam man zu dem Zelt beim Tor und erhielt innerhalb weniger Minuten einen personifizierten Ausweis, der die wichtigsten persönlichen Daten enthielt und nun bei jedem Eintritt vorzuweisen war. Am nächsten Tag erhielt ich einen Anruf auf Englisch, und wurde gebeten, ein paar Fragen zu beantworten: Woher ich stamme, welche Sprachen ich beherrsche, wann ich das letzte Mal im Ausland war und mit wem ich zusammenwohne. Auf meine Frage, wieso man diese Daten brauche, meinte die Dame am Telefon etwas unsicher: „Weil das Virus jetzt sehr stark ist.“ Sie konnte wohl nicht zugeben, dass die Behörden sich bereits mehr darum sorgten, dass das Virus von außerhalb des Landes wieder „importiert“ wurde und eine zweite Infektionswelle auslöste.

Relative Bewegungsfreiheit

Die sechs- bis achtspurigen Straßen in der Umgebung waren wochenlang bemerkenswert ruhig gewesen. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass es kaum noch Verkehr gibt. Viele Leute, die sonst unterwegs waren, blieben in ihren Wohnungen und viele waren natürlich außerhalb der Stadt bei ihren Familien geblieben.

Bildquelle: (c) Christoph Glatz

Während den gesamten zweieinhalb Monaten, in denen die Beschränkungen schon anhalten, konnte ich mich im öffentlichen Raum im Wesentlichen frei bewegen – abgesehen von den kurzen Stopps, die nötig waren um Fieber zu messen und die Karte vorzuzeigen. Ich konnte also beispielsweise ausgedehnte Spaziergänge machen. Die Straßen waren wie leergefegt und es bestand kein Grund, in dieser menschenleeren Gegend die Maske aufzusetzen. Die wenigen Personen, die ich traf, wichen mir auf 50 Meter Entfernung großflächig aus, da sie offenbar befürchteten, dass das Virus enorme Distanzen überwinden könne. Aber auch sonst wichen Masken tragende Menschen einander auf dem Gehsteig aus – ein Verhalten, das sie innerhalb des Wohnbezirks oder im Supermarkt nicht an den Tag legten. In ihrer gewohnten Umgebung, wo wesentlich mehr potentiell infizierte Leute unterwegs waren, schienen sie sich paradoxerweise sicherer zu fühlen als auf offener Straße. So gut wie jeder Chinese trug in dieser Zeit Maske – inklusive den wenigen Joggern, den Motorradfahrern und den Autofahrern in ihren eigenen Autos.

Die Rückkehr der Normalität

Ab einem gewissen Zeitpunkt, irgendwann im März, setzte ziemlich rasch und geradezu in Schüben, die Rückkehr aus den Provinzen ein. Das Verkehrsaufkommen stieg an. Ziemlich viele Vehikel transportierten nun alle mögliche Ware. Die meisten Menschen tragen aber weiterhin Maske, geschätzt weit über 95 Prozent. Es gibt einzelne Fahrradfahrer und Jogger, die maskenfrei unterwegs sind. Man sieht gelegentlich Leute ohne Maske auf den Straßen, die dem Erscheinungsbild nach meist keine Pekinger sind, sondern aus ihren Dörfern zurückgekehrte Personen. In anderen Regionen Chinas trägt man nicht mehr Maske. Ich hörte von einem Freund aus einer Stadt in der zwischenzeitlich stark betroffenen Provinz Hunan, das jetzt praktisch alle ohne Maske unterwegs sind. Allerdings gibt es in dieser Stadt keinen einzigen bekannten Covid-19-Fall mehr. Insgesamt, alle zusammengerechnet, hat es in Peking auf 23 Millionen Einwohner ganze 600 bestätigte Fälle gegeben. Das Bewusstsein der Leute, sich und andere zu schützen, war hier viel ausgeprägter als man es in Europa und Nordamerika sieht. Welche Rolle dabei die Regierungslinie spielte oder ob das hohe Ausmaß des kollektiven Maskentragens mehr von der Bevölkerung ausging, ist für mich schwer zu bewerten. Auf jeden Fall fiel die Zahl der gegenwärtig Erkrankten in Peking mit der Zeit auf fast 50 und stieg dann durch „importierte“ Fälle wieder auf etwa 150 an – eine Zahl, die dafür sorgt, dass die Bevölkerung weiterhin überaus vorsichtig bleibt.

Alltag der Ausländer in Peking

Es sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass meine Erfahrungen in Peking während der Virenkrise die eines Ausländers sind, der nicht in der Nähe des Stadtzentrums wohnt. Das unterscheidet mich wahrscheinlich von der Mehrheit der hiesigen Expats, die von ihren Firmen nach Peking geholt werden und sich den urbanen Luxus stadtnaher Wohnungen leisten. Ich selbst wohne sehr weit von der City entfernt, zwischen dem fünften und sechsten Ring, rund 20 Kilometer außerhalb des Stadtkerns. Um in die Stadt zu gelangen, benötige ich etwa ein bis eineinhalb Stunden. Grundsätzlich gibt es in dieser fernöstlichen Megacity mit offiziell 23 Millionen Einwohnern nicht besonders viele Ausländer. Die Chinesen meinen zwar, es seien sehr viele, nur weil sie in der Menschenmenge immer wieder auf ein paar kaukasische Gesichter treffen, viele davon sind aber Touristen. Tatsächlich sind die Zahlen verschwindend gering. Und von diesen relativ wenigen Westlern dürften ziemlich viele während des Outbreaks das Land verlassen haben – entweder weil sie die traditionellen Neujahrsferien für einen Heimaturlaub nutzten oder weil sie schließlich aus Gründen der persönlichen Sicherheit ausreisten. Ich muss auch anmerken, dass Bezirke in Zentrumsnähe deutlich mehr Covid-19-Fälle verzeichneten als die weiter entfernten. Außerdem kann es sein, dass einzelne Maßnahmen in der City an die zahlenmäßig stärker vertretenen Expats, die ja auch informiert werden mussten, angepasst waren. Die Verhältnisse, die ich hier schildere, sind also wahrscheinlich näher an der „chinesischen Realität“ dran als die Erfahrung manch anderer ausländischer Beobachter, die sich primär in Expat-Zirkeln und in den inneren Bezirken aufhalten.

Die Dinge in der Relation

Manche halten Peking, auch wegen seines Status als unverzichtbarer politischer Zentrale und des besonders gut ausgebauten Gesundheitssystems im Vergleich zu anderen Regionen Chinas für den momentan sichersten Platz im Land. Andere wiederum halten es hier für relativ gefährlich, weil „silent carriers“, die aus anderen Provinzen in Massen zurück in die Stadt gekommen sind, das Virus wieder verbreiten könnten. Fakt ist, dass nicht nur Flugreisende aus dem Ausland zwei Wochen in Quarantäne müssen. Auch Personen, die eine Wohnung in Peking haben, aber aus anderen Provinzen wieder einreisen, müssen zwei Wochen in Heimquarantäne. Meine Spaziergänge finden aufgrund der internationalen Lage nun übrigens nicht mehr ohne Maske statt. Zunächst einmal sind zehn Mal so viele Leute unterwegs wie Anfang Februar. Aber ich verzichte auch absichtlich darauf, die anderen zu erschrecken, wenn sie einem aus ihrer Sicht möglicherweise infizierten Westler gegenüberstehen. Seit den Quarantänemaßnahmen für alle aus dem Ausland kommenden Personen hat die diesbezüglich vorhandene Nervosität zwar wieder abgenommen. Die Bilder aus dem Westen, die man hier im Fernsehen gesehen hat, haben viele Chinesen aber vermutlich nachhaltig verwundert, schockiert und beunruhigt.

Fazit: Verhältnismäßig strikt, aber sicher

Als Fazit kann man sagen, dass die Maßnahmen in Peking schnell, schrittweise und unaufgeregt bis zu einem Maß erhöht wurden, das verhältnismäßig strikt, aber doch nicht unangemessen erscheint angesichts des Ziels, die Verbreitung des Virus drastisch zu reduzieren. Für jene Menschen, die in dieser Zeit ohne Unterbrechung in Peking geblieben waren, war es eine überschaubare Anzahl an Veränderungen, mit denen man sich zu arrangieren hatte. Jene, die gesund waren, hatten innerhalb Pekings im Wesentlichen eine durch die Kontrollen nur marginal eingeschränkte Bewegungsfreiheit.

Diese relativ große Bewegungsfreiheit aber wirklich intensiv zu nützen war tatsächlich nicht sehr attraktiv, da die meisten Geschäfte und Sehenswürdigkeiten geschlossen hatten und allein das Vorhandensein von Kontrollen irgendwie ermüdend war. Die Covid-19-Krise ist sicher für alle eine ziemliche Belastung, insbesondere da viele Unternehmen auf Home Office umsattelten und auch die Schulen ihre Pforten schlossen. Durch die kollektive Bereitschaft der Bevölkerung, an diesen Maßnahmen aktiv teilzunehmen und selbst zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, wurde die Effektivität der Maßnahmen jedoch bald erkennbar und die Bevölkerung scheint durchaus auch bereit, sie so lange fortzuführen, bis das Virus tatsächlich so weit zurückgedrängt ist, dass es als besiegt gilt. Aus der lokalen Perspektive erscheint es den Pekingern mittlerweile geradezu so als ob die Welt in der Pandemie untergeht, während man selbst im windstillen Auge des Tornados positioniert ist. Der Frühling ist da, ältere Leute sitzen auf den Bänken der Parkanlagen im Wohnbezirk, die Kinder spielen Federball, Fußball, Basketball. Auf den Straßen rauscht der Verkehr. Wenn nicht die Masken auf allen Gesichtern wären, könnte man meinen, dass es ein gewöhnlicher Frühling ist.

Bildquelle: Bild von Xiaochen0 auf Pixabay